Was gaukelst du mir Szenen vor
die nie mein Auge hat geseh'n,
und träufelst Worte in mein Ohr
die niemand sprach? Wie kann's gescheh'n,
dass du mich Sätze sagen lässt,
die ich in Wahrheit nie gesagt,
und du mich Gesten wagen lässt,
die ich in Wahrheit nie gewagt?
Warum vermischt die Fantasie
im Rückblick Traum und Wirklichkeit,
verschiebt in eigener Regie
die Perspektiven, Raum und Zeit?
Wo du, Erinn'rung, bist mir Last,
verschleiert sie und retuschiert,
doch hab' ich Angst, dass du verblasst,
dann frischt sie auf, verschönt, verziert.
Erinnerung – mal süß, mal Qual
und oftmals beides gar zugleich.
Wenn du auch trügst so manches Mal,
so machst du doch mein Leben reich.
Sinnend blickt sie auf die Gleise,
ein Symbol, wie es ihr scheint,
für die eigne Lebensweise;
Parallelen, fest vereint:
Schwellen koppeln Schienenstränge
aneinander, voll und ganz,
doch zugleich, auf voller Länge,
halten sie sie auf Distanz.
So verknüpft auch sie zwei Welten,
die einander nie tangier'n.
Manchmal hat sie, wenn auch selten,
das Gefühl, sich zu verlier'n,
nämlich wenn sie zwischen beiden
Welten steht und ihr Verstand
leise rät, sich zu entscheiden
für die Welt, die ihr bekannt,
und in der sie bodenständig
fest verwurzelt liebt und lebt.
Doch die andre Welt, lebendig,
neu und fantasiegewebt
aus Versprechen und Begehren,
Sehnsucht, Lachen, Träumerei'n
möcht' sie auch nicht mehr entbehren,
mag's auch egoistisch sein.
Und so muss sie balancieren
auf den Schienen wie ein Kind,
muss mal links, mal rechts agieren,
weil ihr beide wichtig sind.
Sinnend blickt sie auf die Gleise,
jenen Punkt so fern und klein,
wo sie paradoxerweise
sich vereinen. Aber nein:
Parallelen wie die Stränge
treffen niemals, wie sie weiß,
aufeinander, denn dann spränge
ja der Zug aus seinem Gleis.
Und so hält auch sie die Welten,
die ihr lieb sind, strikt getrennt,
denn die gleichen Regeln gelten
auch für sie. Und sie erkennt:
Würden sich die zwei berühren,
der Gedanke – Utopie,
sie würd's Gleichgewicht verlieren.
Und sie seufzt. Dann lächelt sie …
Gesägt aus dem Stamm einer uralten Buche,
im Halbrund umwachsen von Weiden, so steht
sie heut noch verborgen am Waldrand. Ich suche
nach Spuren des Gestern – fast ist es zu spät:
Das Wetter, die Jahre … So tief sind die Wunden
in „unserer“ Parkbank. Was waren wir stolz,
dass wir sie gefunden. Verschwiegene Stunden ...
Jetzt ruhn meine Hände auf rissigem Holz.
Geschnitzte Versprechen … Verblichen die Pfeile
und Herzen und Namen. Ich folge dem Drang,
die Augen zu schließen und lausch eine Weile
den alten Geschichten der hölzernen Bank.
Sie weiß von Romantik und Kitsch zu berichten,
von Schwüren „Ich halt' dich mein Leben lang fest!“
Sie kennt nur den Anfang all jener Geschichten.
Ich schlucke und gehe. Ich kenn' ja den Rest …
Dein Leben - ein Tropfen im Weltmeer der Zeiten,
so klagst du mit Seufzen und fragst nach dem Sinn,
kaum dass es berührte die endlosen Weiten
des Zeitmeers, schon sei es verschwunden darin.
Doch sieh, wie die Tropfen des Regens im Garten
das Wasser des Teiches mit Kreisen verziern,
mit kräftigen Wellen, mit schwachen und zarten.
Und schau, wie die Kreise einander berührn,
sich hier überlagern, da stärken, dort schwächen,
durchkreuzen und schneiden. Ein Muster erscheint,
bis Wellen und Kreise am Ufer sich brechen,
und Tropfen für Tropfen mit andren sich eint.
Und wenn sich im Zeitmeer des Lebens zwei Kreise
berühren, und sei's nur für DEN Augenblick,
wo wir im Begegnen auf magische Weise
ein Lächeln uns schenken, ein winziges Stück
gemeinsamen Weges gehn, dann liegt der Sinn
genau darin ...
Wenn's kleine Wörtchen WENN nicht wär',
dann hätte auch das DANN es schwer.
Das ABER wäre in Gefahr
und das VIELLEICHT vielleicht nicht da …
Du sagst, das fändest du nicht schlecht,
denn ohne Wenn-und-Dann-Geflecht,
sprich: ohne den Konditional
hätt'st du auch nie die Qual der Wahl?!
Das ist's, was mich bedenklich stimmt,
denn wenn man WENN sein Dasein nimmt,
ist festgelegt des Lebens Lauf
und du hast keinen Einfluss drauf!
Drum: Seufzt du wieder einmal mehr:
„Wenn nur das Wörtchen WENN nicht wär!“,
bedenke klug die Konsequenz:
Es reizte ohne all die WENNS
im Leben dich kein Seitenpfad,
und vorbestimmt wär's Resultat
all dessen, was du täglich tust.
Ob du nun handelst oder ruhst,
das wär' im Endeffekt egal.
Wie schmeckte dann das Leben schal,
denn WENN, VIELLEICHT und ABER sind
der Stoff, aus dem man Träume spinnt!
Nachdem er für die Parteifreunde gestorben war,
machten diese sich daran,
seinen Kleiderschrank zu durchforsten.
Könnte ja sein, dass darin noch das ein oder andere
Brauchbare zu finden sein würde.
Und tatsächlich:
Schuhe -
von Generation zu Generation weitervererbt,
aber eigentlich jedem von ihnen
viel zu groß ...
Deckmäntel -
großzügig gewebt
aus feinster Nächstenliebe und edelstem Respekt,
aber das Innenfutter kleinkariert gemustert
mit Zeichen schillernden Zynismusses
und kratziger Rücksichtslosigkeit ...
Spendierhosen -
blendend gepflegt,
aber die Taschen ausgeleiert
vom häufigen Hineingreifen ...
Socken -
alle nach dem gleichen Strickmuster
gefertigt,
aber in den unterschiedlichsten
Farbkombinationen ...
Narrenkappen -
ganz hinten in der Ecke verstaut ...
und Hemden ohne Taschen -
für jeden von ihnen eines ...
das Wort ...
verlässliche Stütze
auf steinigem Weg
der Erkenntnis
rettender Felsen
in tosendem Meer
der Enttäuschung
sichere Brücke
über hauchdünnem Eis
der Hoffnung
das Wort ...
ich kann es aussprechen
aber es hören
die Stütze annehmen
den Felsen erklimmen
die Brücke betreten
musst du schon selbst
Letzte Worte, längst verklungen;
so viel Ungesagtes bleibt.
Finger halten sich umschlungen,
der Sekundenzeiger treibt.
Letzte Blicke, unverwandte,
sprechen stumm von Sympathie.
Rücktritt von der Bahnsteigkante!
Türen schließen. C'est fini …
Lächeln durch getönte Scheiben,
die zum Gruß erhob'ne Hand:
Bilder, die für immer bleiben,
in die Netzhaut eingebrannt.
Räder rollen und ich gucke,
bis nur noch ein Punkt zu seh'n.
Irgendjemand seufzt. Ich schlucke.
Und dann wend' ich mich zum Geh'n.
müßig
im Konjunktiv II des Gestern
zu wühlen
versuchen wir uns
am Indikativ
des Heute
das Morgen
behält seine Geheimnisse
ohnehin
für sich
All ihr Wünsche, Träume,
Hoffnungen, Sehnsüchte und Erwartungen,
die ihr mich begleitet durch das Jahr,
ich sperre euch in ein gläsernes Kästchen der Vergangenheit,
schließe den Deckel der Realität,
beschrifte alles mit einer Jahreszahl
und stelle es zu den anderen.
Eine Zeit lang werdet ihr mich noch anstarren,
durch die Wände eures Gefängnisses hindurch,
manchmal wütend und vorwurfsvoll
oder traurig.
Dann werdet ihr resignieren
wie die anderen vor euch.
Schaut hin, wie friedlich sie ruhen,
in ihren kristallen funkelnden Särgen.
Aber einige von euch
werden nicht aufgeben.
Hartnäckig werden sie
immer wieder versuchen,
die Realität zu überlisten.
Und ich ...
.. ich werde ihnen
den Deckel etwas lösen ...
... und wieder
fülle ich ein gläsernes Kästchen
mit Fetzen geplatzter Träume
füge glänzende Scherben
zerbrochener Hoffnung hinzu
beseufze alles mit Resignation
und verschließe es luftdicht
mit Realismus
trockenen Auges
stelle ich es zu den anderen
in den Keller der Erinnerungen
dieses Mal
halte ich den Deckel
fest verschlossen
Wo kann ich sein, was ich sonst nie
mich offen zu verkörpern trau'?
Wo kann ich „Er“ sein oder „Sie“,
wo kann ich Kind sein oder Frau,
kann ich zu offenbaren wagen,
was in mir schlummert dunkel, tief?
Wo kann ich böse sein, verschlagen,
wo lieb und ehrlich, wo naiv?
Wo Hure sein, verrucht und scharf,
und wo Geliebte, sexy, wild,
wo Nonne, hochgeschlossen, brav?
Wo kann ich meinem Spiegelbild
begegnen, ohne zu erröten
und reisen durch die Fantasie
in andere Identitäten?
... Im Land der Lyrik, Poesie ...
Mal bin ich Rose, die erglüht,
mal Veilchen, das im Schatten wacht,
mal Mittagsblume, voll erblüht,
und mal die Königin der Nacht,
mal Vogel in den Lüften, frei,
mal Tiger hinter Gitterstäben,
mal der Gejagte, flüchtig, scheu,
mal Jäger, um zu überleben,
mal rebellierend, überschäumend,
mal engelsgleich, voll Harmonie,
mal realistisch und mal träumend ...
... im Land der Lyrik, Poesie...
Hallo, schwarzer Mann mit dem Besen ...
Ich hab' dich vermisst.
Wo bist du gewesen?
Mein Glück, ach es ist
seit ewigen Zeiten vergangen.
Komm her, schwarzer Mann, komm und tippe
mir Ruß in Gesicht!
Berühr meine Lippe!
Komm her, tritt ins Licht!
Du sollst mich beglückend umfangen.
Reich mir, schwarzer Mann, deine Rechte,
tanz mit mir den Tanz
des Lebens! Ich möchte
mich hingeben ganz
dir glücksbringend pechschwarzem Wesen.
Halt ein, schwarzer Mann, ich entdecke
dein Antlitz erst jetzt
im Licht und erschrecke.
Erkenne entsetzt,
dass die Sense du trägst, nicht den Besen ...
Weitere Gedichte aus dem Zyklus vom (nicht so) tapferen Schneiderlein findet man in der "Flickschusterei"
manchmal
zupfst du ein paar
Erinnerungen
aus deinem Nähkästchen
lange Schnüre von kräftigem Braun
ganze Bündel gelber Fasern
manche sanft schimmernd
andere grell leuchtend
grüne Fädchen
kurz und glänzend
einige an ihrem Ende
blass und zerrissen
breite Bänder
von sattem klarem Blau
rau aber warm
oder changierend
glatt und kühl
weiße und schwarze Fäden
und immer wieder
ein paar rote
kein Blau kein Grün
gleicht dem anderen
jedes Rot ist einzigartig
in seiner Nuance
staunend registrierst du
die Vielfalt
der Zwischentöne
bisher
hattest du geglaubt
dein Leben verliefe
grau in grau
fasziniert
betrachte ich den bunten Haufen
jener Fäden
die du mir aus deinem
Nähkästchen geschenkt
nehme mal diesen
mal jenen zur Hand
aber egal
wie ich sie miteinander verknüpfe
keines der Muster
wird dir gerecht
ich wünschte
du hättest eine Anleitung
beigelegt
doch vielleicht hast du Angst
der fertige Stoff
könnte mir nicht gefallen
all jene Fäden
die du aus deinem
Nähkästchen vertrauensvoll
in meine Hände legtest
erzählen mir
Geschichten aus deinem Leben
berichten
von Jahren wohliger Geborgenheit
verraten
Augenblicke des Glücks
aber auch des Neides
zeugen
von Momenten der Hoffnung
und der Enttäuschung
sprechen
von Freundschaft und Wahrheit
oder von Kälte und Lüge
Licht und Schatten
Angst und Trauer
und immer wieder
von der Liebe
vorsichtig verwebe
ich sie miteinander
und ahne dabei
dass du mir den einen
oder anderen Faden
vorenthalten hast
denn im Stoff
bleiben
Löcher
lass nur
ich fülle sie
mit meiner Fantasie